Müssen COVID-19-Impfstoffe zukünftig regelmäßig neu angepasst werden?

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Grippe-Impfstoffe müssen jedes Jahr aktualisiert werden, um vor neuen Influenzaviren zu schützen. Wird das auch für COVID-19-Impfstoffe nötig sein? Um dies abschätzen zu können, hat ein Forschungsteam der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) die Evolution von landläufigen Erkältungscoronaviren mit der von Grippeviren verglichen. Die Prognose der Forschenden: Während der Pandemie werden regelmäßige Impfstoff-Updates nötig sein, nach einigen Jahren ist jedoch eine längere Haltbarkeit der Impfstoffe zu erwarten.

Influenzaviren sind Meister darin, sich der Immunreaktion des Menschen zu entziehen: Sie verändern sich so schnell, dass die Antikörper, die das Immunsystem nach einer früheren Infektion oder Impfung hergestellt hat, sie nicht mehr gut erkennen können. Das macht eine aufwendige Anpassung des Impfstoffs in praktisch jeder Grippe-Saison notwendig. Auch SARS-CoV-2 hat bereits verschiedene Mutanten hervorgebracht, von denen einige, wie die sogenannte südafrikanische Variante, die Immunreaktion teilweise unterlaufen. Erste Impfstoff-Hersteller entwickeln daher schon neue Versionen ihres Vakzins. Was bedeutet das für die Zukunft? Müssen COVID-19-Impfstoffe wie die Grippe-Impfstoffe regelmäßig aktualisiert werden?

Um einschätzen zu können, ob SARS-CoV-2-Viren langfristig eine ebenso stark ausgeprägte „Flucht“ vor dem Immunsystem zeigen werden wie Influenzaviren, haben Virologinnen und Virologen der Charité und des DZIF die genetische Entwicklung von Erkältungscoronaviren untersucht. Bekannt sind vier solcher vergleichsweise harmloser Coronaviren, die rund zehn Prozent der Erkältungen weltweit verursachen und schon wesentlich länger im Menschen zirkulieren als SARS-CoV-2. Auch sie entern menschliche Zellen über das sogenannte Spike-Protein, das die namensgebende „Krone“ auf der Virus-Oberfläche bildet und gegen das alle bisherigen COVID-19-Impfstoffe gerichtet sind. 

Für die Studie verfolgte das Forschungsteam, wie sich das Spike-Gen der beiden am längsten bekannten Coronaviren 229E und OC43 über die vergangenen rund 40 Jahre verändert hat. Dazu verglichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Sequenzen aus unterschiedlich alten Proben, die in einer Gendatenbank hinterlegt worden waren, und entwickelten anhand der über die Zeit entstandenen Mutationen einen Stammbaum für beide Coronaviren. Zum Vergleich betrachteten die Forschenden den Influenza-Stamm H3N2, der sich besonders effizient der menschlichen Immunreaktion entzieht.

Die berechneten Stammbäume sowohl der Coronaviren als auch des Influenzavirus hatten eines gemeinsam: Sie zeigten eine ausgeprägte „Treppenform“: „Ein solch asymmetrischer Stammbaum bedeutet, dass eine zirkulierende Viruslinie regelmäßig durch eine andere ersetzt wird, weil diese einen Überlebensvorteil hat“, erklärt Dr. Wendy K. Jó, Erstautorin der Studie vom Institut für Virologie der Charité. „Das ist ein Hinweis auf eine sogenannte Antigen-Drift, also eine kontinuierliche Veränderung der Oberflächenstrukturen, durch die Viren sich der menschlichen Immunreaktion entziehen. Die heimischen Coronaviren entfliehen dem Immunsystem also ebenso wie das Grippevirus. Allerdings muss man sich zusätzlich die Geschwindigkeit anschauen, mit der diese Evolution vonstattengeht.“

Dazu ermittelte das Forschungsteam die Evolutionsraten der drei Viren. Während sich in der Influenza-Sequenz pro Jahr 25 Mutationen pro 10.000 Erbgut-Bausteinen ansammelten, waren es bei den Coronaviren nur etwa sechs Mutationen. Damit veränderten sich die landläufigen Coronaviren um das Vierfache langsamer als das Grippevirus. „Das ist mit Blick auf SARS-CoV-2 eine gute Nachricht“, resümiert Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie und Wissenschaftler des DZIF.

Denn die Evolutionsgeschwindigkeit von SARS-CoV-2 liegt derzeit mit geschätzt rund zehn Mutationen pro 10.000 Erbgut-Bausteinen im Jahr noch deutlich über der landläufiger Coronaviren. „Diese schnelle genetische Veränderung von SARS-CoV-2 spiegelt sich in dem Aufkommen vieler verschiedener Virusvarianten weltweit wider“, erklärt Prof. Dr. Jan Felix Drexler, Leiter der Studie vom Institut für Virologie und DZIF-Forscher. „Der Grund dafür liegt aber hauptsächlich in dem hohen Infektionsgeschehen während der Pandemie: Wo es viele Infektionen gibt, kann sich ein Virus auch schneller weiterentwickeln. Auf Basis der Evolutionsraten der heimischen Erkältungscoronaviren gehen wir davon aus, dass sich auch SARS-CoV-2 langsamer verändern wird, sobald das Infektionsgeschehen abebbt – also nachdem ein Großteil der weltweiten Bevölkerung entweder durch die Erkrankung selbst oder durch eine Impfung einen Immunschutz aufgebaut hat. Deshalb nehmen wir an, dass die COVID-19-Impfungen während der Pandemie regelmäßig überprüft und wenn nötig angepasst werden müssen. Sobald sich die Situation stabilisiert hat, werden die Impfungen aber voraussichtlich länger nutzbar sein.“

Quelle

Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin

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