Virologische Studie verändert die Einschätzung des neuen Coronavirus

Eine neue virologische Studie verändert die Einschätzung des neuen Coronavirus. Die Forschergruppe um Professor Christian Drosten (Uni Bonn/DZIF) konnte nachweisen, dass das neue Coronavirus zum Eintritt in die Zelle nicht denselben Rezeptor verwendet wie das SARS-Coronavirus. Außerdem scheint das neue Coronavirus nicht nur in menschliche Zellen eindringen zu können, sondern auch in verschiedene tierische Zellen z.B. von Fledermäusen oder Schweinen.

Die Virologen haben von Beginn des Ausbruchs und der Entdeckung des neuen Coronavirus betont, dass die beiden Coronaviren zwar aus der gleichen Familie stammen, sich aber unterscheiden. Nun konnten diese Unterschiede belegt werden. Was wie eine rein akademische Diskussion aussieht, hat enorme Bedeutung für die Gefährdungsbewertung und die Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Es verändert außerdem die Art wie bisher über das Ausbruchsgeschehen gedacht wurde.

Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass Coronaviren immer einen typischen Wirt haben und nicht zwischen Mensch und Tier hin-und-her wechseln. Da sich dieses neue Coronavirus so „promiskuitiv“ verhält, also sowohl humane wie auch tierische Zellen infiziert, könnte es schwierig werden, dieses Virus epidemiologisch zu fassen und die Übertragung auf den Menschen wirksam einzudämmen. Es macht auch eine Neuausrichtung des Surveillance Fokus erforderlich: nun sollten sowohl Erkrankungen beim Menschen wie auch in tierischen Populationen erfasst werden.

Jedes Virus benötigt zum Eindringen in die Zelle einen zellulären Rezeptor. Dessen Lokalisation im Gewebe hat Auswirkungen darauf, wie die Ansteckung verläuft. Wenn der Rezeptor wie beim SARS-Coronavirus im tiefen Lungengewebe lokalisiert ist, ist eine Ansteckung nur möglich, wenn die infektiösen Partikel in den unteren Respirationstrakt gelangen. Da das neue Coronavirus über einen anderen, bislang noch unbekannten Rezeptor in die menschliche Zelle eindringt, sind die Maßnahmen, die bei SARS zur Bekämpfung und Behandlung eingesetzt wurden, womöglich nicht in gleicher Weise wirksam. Hier wird es in den nächsten Wochen darum gehen, den tatsächlichen Rezeptor und dessen Lokalisation zu finden, damit wirkungsvolle Maßnahmen beim Infektionsschutz und therapeutische Behandlungsoptionen entwickelt werden können.

Die bisherige Kenntnis über die Ausbreitung des neuen Coronavirus lässt noch keine Aussage über dessen Gefährlichkeit zu. Die WHO meldet bisher neun Patienten, von denen fünf verstorben sind. Die Sterblichkeit ist, gemessen an dieser epidemiologischen Grundlage, über 50%. Da es bisher allerdings nicht klar ist, ob man alle Patienten sieht oder nur solche mit schweren Krankheitsverläufen, ist eine Aussage schwer zu treffen. Es ist möglich und in dieser frühen Ausbruchsphase auch wahrscheinlich, dass eine Dunkelziffer leicht Erkrankter nicht registriert wird.

Die Fälle, die man bisher im Labor bestätigt hat, waren schwer erkrankt. Es wurden auch zusammenhängende Patientengruppen registriert, bei denen eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung annehmbar ist. Die internationalen Gesundheitsbehörden verfolgen daher mit großer Aufmerksamkeit neue Erkrankungsfälle und haben die Falldefinition verändert. Die WHO appelliert nun an Ärzte, auch Patienten auf das neue Coronavirus zu testen, wenn sie keine eindeutige Reiseanamnese haben, sowie diese Fälle dem Gesundheitsamt zu melden.

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) wird im Bereich Emerging Infections intensiv an neuen bzw. neu auftretenden Viren geforscht. Nachdem die Testmethode, mit dem der Erregernachweis auf das neue Coronavirus geführt wird, maßgeblich von DZIF Mitglied Professor Christian Drosten mitentwickelt wurde, eröffnet nun eine weitere Forschungsleistung dieser Gruppe eine neue Denkrichtung für die internationale Gemeinschaft. Damit betont das DZIF und besonders die Forschergruppe um Christian Drosten ihre Bedeutung für die Bekämpfung neu auftretender Viren.

Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) ist ein neu gegründeter Zusammenschluss der führenden Forschungseinrichtungen der Lebenswissenschaften in Deutschland. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Zentrum seit November 2011.

 

O-Töne

O-Ton Professor Christian Drosten (Universität Bonn): „Leider gibt es auch nach 3 Monaten intensiver Forschung mehr Fragen als Antworten zu dem neuen Virus. Unsere nun veröffentlichen Daten liefern zumindest einen neuen Denkansatz, um zu erklären, warum das gesamte epidemiologische Bild so Coronavirus-untypisch aussieht. Für einen Strategiewechsel ist es aber zu früh – jetzt muss man erst recht eine intensivierte Überwachung fordern und darin auch Zuchttiere in der Ursprungsregion des Virus einbeziehen. Unglücklicherweise gibt es an dieser Stelle wenig Fortschritt und wenig echte Kooperationsbereitschaft.“

Professor Stephan Becker (Philipps-Universität Marburg): „Die Frage, die nun viele umtreibt ist, ob wir in Zukunft häufiger mit vereinzelten schweren Coronavirusinfektionen rechnen müssen, die von Tieren auf den Menschen überspringen, oder ob es sich bei den bekannt gewordenen Fällen um die Spitze des Eisbergs von vielen unerkannt gebliebenen Infektionen handelt.“

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