Infektionen betreffen uns alle
Gemeinsame Stellungnahme des Patientenbeirats des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) und des Patientenbeirats der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) zur geplanten Streichung der Leistungsgruppe Infektiologie im Krankenhausreformgesetz
Die Krankenhausreform verfolgt das erklärte Ziel, Patientensicherheit und Versorgungsqualität in Deutschland auf ein höheres Niveau zu heben. Diese Ziele können jedoch nur erreicht werden, wenn die im aktuellen Entwurf gestrichene Leistungsgruppe Infektiologie wieder als eigenständige Leistungsgruppe aufgenommen wird. Infektiologische Kompetenz ist kein optionales Zusatzangebot. Sie ist ein systemrelevanter Bestandteil moderner Medizin.
Infektionen betreffen uns alle. Jederzeit.
In Deutschland leben rund 84 Millionen Menschen. Jede und jeder davon kann durch Infektionen schwer erkranken. Besonders gefährdet sind Kinder unter fünf Jahren, ältere Menschen, Personen mit chronischen Erkrankungen wie Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf- oder Autoimmunerkrankungen sowie Menschen mit Beeinträchtigungen oder sozialer Benachteiligung.
Sepsis beispielsweise, der Notfall aller Infektionskrankheiten, trifft auch zuvor gesunde Menschen. In Deutschland treten jährlich mindestens 230.000 Fälle auf, wovon 85.000 zum Tode geführt haben.
Die Langzeitfolgen von Infektionskrankheiten rücken zudem immer mehr in den Fokus. Nach aktuellen Schätzungen leiden insgesamt 1,5 Mio. Menschen an Post-COVID und ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom) – die gesamtgesellschaftlichen Kosten werden auf jährlich 60 Mio. Euro geschätzt.
Durch die Globalisierung und die Zirkulation von Bakterien, Viren und anderen Infektionserregern wird die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und deren Folgen immer bedeutsamer. Dies darf nicht durch einen Wegfall der Finanzierung der Infektiologie als eigene Leistungsgruppe gefährdet werden. Das Leben vieler Menschen und ihrer Familien wurde durch Infektionen dauerhaft verändert. Auch Infektionskrankheiten können jeden mit Wucht treffen und das Leben für immer verändern.
Politik investiert Milliarden in Forschung, aber schafft die Voraussetzung für Umsetzung ab.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Bund und Länder den Kampf gegen Infektionen ernst nehmen, u.a. durch:
- die nationale Strategie DART 2030 gegen Antibiotikaresistenzen
- die geplante „Nationale Dekade gegen postinfektiöse Erkrankungen“ (2026–2036), ausgestattet mit rund 500 Millionen Euro
- die bundesweite Kampagne „Deutschland erkennt Sepsis“
- Qualitätssicherungsverfahren zur Sepsis mit verbindlichen Qualitätsindikatoren ab 2026
- die Online-Plattform infektionsschutz.de
- die Förderung der Weiterbildung in der Infektiologie und der Einstellung von Infektiolog:innen im Rahmen des Krankenhausentgeltgesetzes
All diese Initiativen verfolgen dasselbe Ziel: Infektionen früher erkennen, besser behandeln und schwere Verläufe verhindern.
Doch ohne eine klar definierte Leistungsgruppe Infektiologie wird diese politische Investition im klinischen Alltag ins Leere laufen. Es fehlt die Struktur, die Verantwortung und die Finanzierung, um das Wissen zum breiten Einsatz an Patient:innen zu bringen.
Infektiologie ist ein Querschnittsfach und damit unverzichtbar.
Infektiologie wird benötigt für:
- die frühzeitige Erkennung gefährlicher Verläufe,
- den verantwortungsvollen Antibiotikaeinsatz,
- die Vermeidung resistenter Erreger,
- die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Onkologie, Intensivmedizin, Transplantationsmedizin und anderen Fachbereichen und für
- eine optimale ambulante Versorgung von Infektionspatient:innen.
Ohne Leistungsgruppe gibt es keine Verbindlichkeit. Ohne Verbindlichkeit gibt es keine Qualität. Ohne Qualität tragen Patientinnen und Patienten die Folgen.
Die Streichung der Leistungsgruppe würde nicht nur etablierte Strukturen zerstören, sondern auch den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse ins Versorgungsgeschehen blockieren. Genau dieser Transfer war politisch gewollt, jedoch steht er nun zur Disposition.
Unsere Forderung
Wir appellieren an Bundestag und Bundesrat, die Streichung der Leistungsgruppe Infektiologie im laufenden Verfahren rückgängig zu machen und die Leistungsgruppe erneut in die Anlage des KHAG aufzunehmen. Nur so können bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und eine krisenfeste Versorgung schwerer Infektionen gewährleistet werden.
Eine moderne Krankenhauslandschaft braucht eine klar definierte Infektiologie – für bessere Behandlungsergebnisse, weniger Todesfälle und einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika.
Aus unterschiedlichen Perspektiven. Gemeinsam gegen Infektionen.
Die Patient:innenbeiräte des DZIF und der DGI
Hintergrundinformationen
- Die in der Kampagne #DeutschlandErkenntSepsis (#DES) genutzten Zahlen, die hier im Text verwendet werden, sind dem Bericht „Entwicklung eines Qualitätssicherungsverfahrens ‚Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Sepsis‘“ des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vom 31.05.2022 entnommen. Diese basieren auf den nach ICD-10-GM (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) in deutschen Krankenhäusern kodierten Zahlen von Sepsis-Fällen im Jahr 2019. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Anzahl der Sepsis-Erkrankungen in Deutschland deutlich höher ist.
- Ein neuer Bericht von Risklayer und der ME/CFS Research Foundation modelliert erstmals die Prävalenz und die Kosten von Long COVID und ME/CFS in Deutschland. Auf diesen Bericht bezieht sich die Schätzung von jährlich 60 Mio. Euro.