Mit Leidenschaft und Humor

Marylyn Addo

© DZIF

Noch kann sie es kaum glauben, denn es ging unwahrscheinlich schnell. Bis September dieses Jahres spielte sich das Leben von Marylyn Addo und ihrer Familie in Boston ab, wo die Medizinerin und Infektiologin seit 15 Jahren erfolgreich AIDS-Viren und die Reaktionen unseres Immunsystems erforscht. Nun sitzt sie in einem nagelneuen Büro im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf – als erste DZIF-Professorin wird sie dort in den kommenden Jahren zum Thema „Immunität und Pathogenese von neu auftretenden Virus-Infektionen“ arbeiten.

„Das ist tatsächlich ein Glücksfall, dass ich diese Stelle im DZIF gerade jetzt erhalten habe“, freut sich Marylyn Addo. Und zwar in vielerlei Hinsicht. Denn fast zeitgleich erhielt ihr Mann, ebenfalls Infektionsforscher, ein Angebot vom Heinrich-Pette-Institut, das in der Nachbarschaft des UKE liegt. Nach 15 Jahren im Ausland zog es die Familie zurück nach Deutschland, wo die Eltern im Raum Köln/Bonn nun quasi in Reichweite anzutreffen sind. Dass dabei auch die wachsende Bedeutung der Infektionsforschung in Deutschland eine wichtige Rolle spielt, findet sie selbstverständlich. „Als ich nach der Doktorarbeit nach London und anschließend in die USA gegangen bin, gab es in Deutschland wenig Ressourcen für Infektionsforschung“, erinnert sich Addo.

Aufgewachsen in der Nähe von Bonn, wo sie auch ihr Medizinstudium absolvierte, zog es die junge Wissenschaftlerin schnell ins Ausland. „Sicher hängt das auch mit meinen Wurzeln zusammen, dass ich eher global denke und lebe.“ Marylyn Addos Vater stammt aus Ghana, ihm verdankt die Tochter neben dem exotischen Namen und Äußeren auch die Neigung zur Medizin und das große Interesse für Afrika und die dort herrschenden Probleme. Ihr Forschungsthema fand sie bereits während eines Studienaufenthalts in Strasbourg; dort arbeitete sie erstmals mit dem Erreger von AIDS, dem HI-Virus. Er sollte sie in ihrer Forscher-Laufbahn nicht mehr loslassen.

HIV, das AIDS verursachende Humane Immunschwäche-Virus, war der erste neu auftretende Erreger seit langem, der global Angst und Schrecken auslöste. Seine Entdeckung und Ausbreitung vor etwa 30 Jahren forderte die Infektionsforscher neu heraus. Auf HIV folgten SARS, EHEC und Schweinegrippe und ein Ende dieser plötzlich auftretenden aggressiven Erreger ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im Zeitalter von globaler Mobilität kennen auch Viren und Bakterien keine Grenzen. Die Erreger neuer Infektionen sind häufig Viren, die von Wildtieren auf Menschen übertragen werden und zu aggressiven Varianten mutieren.

„Wir haben enorm viel erreicht, was die Behandlung von AIDS-Kranken betrifft“, findet Addo. Sie gehört zu den Forschern, die ein großes Stück zu diesen Erfolgen beigetragen haben. Nach einem Jahr in London, in dem sie einen Mastertitel für Angewandte Mikrobiologie von Infektionskrankheiten und das Diplom für Tropenmedizin und Hygiene erwarb, zog es Addo in die USA an das Massachusetts General Hospital in Boston. Dort erforschte sie zunächst die HIV-1-Infektion und die Reaktion der zytotoxischen T-Lymphozyten des menschlichen Abwehrsystems. Diese auch als T-Killerzellen bezeichneten Zellen sind auf die Abwehr von Viren und Krebszellen spezialisiert. Ihr Augenmerk galt der Gruppe der sogenannten HIV-Controller: Menschen, die trotz HIV-Infektion nicht an AIDS erkranken. Wenn man herausfinden kann, warum das so ist, könnte das helfen, einen wirksamen Impfstoff oder bessere Medikamente zu entwickeln. Addo etablierte national und international eine Kohorte von HIV-Controllern, die heute über 1500 Individuen umfasst und die Basis vieler Forschungsergebnisse bildet.

„Mit dieser Kohorte haben wir eine Reihe von spannenden Ergebnissen erhalten“, so Addo. So konnte die Wissenschaftlerin beispielsweise zeigen, dass sich die Qualität der Immunantwort und die T-Zell-Reifung bei HIV-Controllern anders darstellt als bei Menschen, die AIDS bekommen. Dass eines ihrer Paper über die Immunantwort zu den Top 5 der AIDS-Forschung gehörte, hebt Addo nicht extra hervor. Ihre Forschungsaktivitäten führten sie 1999 an die Harvard Medical School in Boston, seit 2010 ist sie Assistant Professor des Ragon-Instituts von MGH, MIT und Harvard. Ein Institut, das die Forschung an HIV/AIDS umfassend koordiniert.

Bei all ihrer Arbeit im Labor verlor Marylyn Addo nicht die Patienten aus dem Blick. Und es sind vor allem die Menschen in Südafrika, die von den Medikamenten am wenigsten profitieren. Immer wieder forscht die Medizinerin daher vor Ort; in Durban, Südafrika, ist sie eingebunden in klinische Studien und in Forschung und Lehre.  Seit kurzem ist sie auch Ehrenprofessorin an der dortigen Universität von KwaZulu-Natal.

Internationale Forschung, Engagement in Südafrika, Reisen zu Tagungen und Kongressen, außerdem eine Familie mit zwei Kindern. Wie lässt sich all das auf einen Nenner bringen? Marylyn Addo lächelt, wenn sie auf ihren 11-jährigen Sohn und die 4-jährige Tochter angesprochen wird. „Man steckt in den ersten Jahren eine Menge Geld auch in gute Kinderbetreuung, und man braucht die Unterstützung vom Ehemann und von den Großeltern.  Auf die konnte sie im Notfall immer zählen, obwohl Bonn und Boston weit auseinander lagen. Die Großmütter packten mitunter sogar ihre Koffer, um mal einige Wochen als Kinderbetreuung in Südafrika zu verbringen. Kinder und Karriere – Marylyn Addo weiß, welchen Spagat Frauen oft machen müssen, um dabei nicht auf der Strecke zu bleiben. Neben all ihrer Arbeit engagiert sie sich deshalb auch seit Jahren in Gremien für die Förderung von Frauen in der Wissenschaft.

Und wie geht es weiter in der Forschung? „Die DZIF-Professur bietet eine Menge Gestaltungsspielraum. Mein Schwerpunkt bleibt die Virus-Immunologie und die Impfstoffentwicklung“, erklärt Addo. Damit passt sie hervorragend in die Gruppe der Wissenschaftler, die am DZIF das Thema „Neu auftretende Infektionskrankheiten“ auf ihrer Fahne haben. Ein Schwerpunkt liegt darin, Methoden zu entwickeln, mit denen sich neue Erreger schnell und sicher diagnostizieren lassen. Gleichzeitig arbeiten die DZIF-Wissenschaftler daran, Strategien für die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe zu entwerfen. In Hamburg arbeitet das UKE eng mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin zusammen.

„Die Ergebnisse aus der HIV-Forschung werden uns auch bei anderen Viren weiterbringen“, ist sich Addo sicher. Ein wichtiges Ziel wird es sein, für neue Ausbrüche besser präpariert zu sein und schnell einen Impfstoff herstellen zu können. Besser vorbereitet sollte man ihrer Meinung nach auch im Hinblick auf die Kommunikation untereinander und mit der Bevölkerung sein. In akuten Situationen eines Ausbruchs könnten in Zukunft auch Social Networks wie Facebook und Twitter zum Einsatz kommen, meint die junge Professorin. Voraussichtlich im Frühjahr wird sie wieder klinisch tätig sein, „eine wichtige Voraussetzung, wenn man später auch Patientenstudien betreuen will.“

Boston – Hamburg: Ein großer Sprung und die ersten 100 Tage sind noch nicht vorbei. Doch Marylyn Addo nimmt die Schwierigkeiten, die jeder Neuanfang mit sich bringt, mit Humor. „Das hat mir immer geholfen“, gibt sie zu, „ich bin eben eine rheinische Frohnatur.“