Die Faszination für Fadenwürmer

© UKBonn

Würmer und andere Parasiten sind Auslöser für viele vernachlässigte und weit verbreitete Tropenkrankheiten. Sie zu bekämpfen, ist ein Schwerpunkt im DZIF. Seit August 2020 verstärkt der Parasitologe Prof. Marc Hübner diesen Fokus über eine DZIF-Professur für Translationale Mikrobiologie am Standort Bonn-Köln.

Dass man bei Mikrobiologie nicht als erstes an Würmer denkt, ist dem Nachwuchsprofessor klar. Aber auch wenn die Würmer mitunter eine Länge von bis zu 70 Zentimeter haben können, werden sie meist zusammen mit anderen Parasiten dem Mikrobenreich zugeordnet. Für Marc Hübner sind sie Faszination pur, und das seit Beginn seines Studiums. „Ich habe mich gleich auf die Parasiten festgelegt, vom 1. Semester an“, erinnert er sich. 1998 begann Hübner sein Biologiestudium an der Universität Hohenheim. Als Pendler musste er viel Wartezeit an der Uni überbrücken und belegte daher auch gleich einen Kurs über Parasiten, der eigentlich nicht für Erstsemester gedacht war. Für ihn war es der Einstieg in ein Interessensgebiet, das ihn bis heute fesselt. Und das mit großem Erfolg.

An der Schnittstelle zwischen Präklinik und Klinik

Mit einer Professur für Translationale Mikrobiologie arbeitet der Wissenschaftler im DZIF an der Schnittstelle zwischen Präklinik und Klinik. Sein Ziel ist es vor allem, neue Wirkstoffe gegen parasitäre Fadenwürmer, sog. Filarien, im Modell zu testen und für den Menschen weiterzuentwickeln. Diese Filarien führen in den Tropen zu ernsten Erkrankungen, die vor allem die Ärmsten treffen. Etwa 68 Millionen Menschen werden über Mückenstiche mit Filarien infiziert, die die Elefantiasis (lymphatische Filariose) hervorrufen können. Bei dieser Erkrankung kann es durch Lymphstau zu teilweise monströsen Vergrößerungen der Extremitäten kommen. Weitere 21 Millionen Menschen sind mit Filarien infiziert, die die Onchozerkose (Flussblindheit) auslösen, eine Erkrankung, die zur Erblindung und zu schweren Hautentzündungen führen kann.

„Diese Krankheiten werden derzeit vor allem durch Massenbehandlungen bekämpft, doch die Medikamente können immer nur eine Zeit lang wirken“, erklärt Hübner das Problem. Denn die adulten Würmer werden nicht abgetötet und bilden immer wieder neue Larven, auch Mikrofilarien genannt. So muss die Behandlung über Jahre mindestens jährlich wiederholt werden. Eine Elimination der Erkrankungen, wie die WHO sie schon für 2020 einmal angepeilt hatte, wird damit fast unmöglich. „Auch bis 2030, dem neuen Ziel, sieht es bisher nicht gut aus“, so Hübner. Doch drei vielversprechende Wirkstoffe hat seine Arbeitsgruppe bereits in ersten klinischen Studien, und in dem großen EU-Projekt „HELP – Helminth Elimination Platform“ werden „next generation compounds“ entwickelt, die gegen Filarien und intestinale Würmer helfen sollen.

Das Wechselspiel zwischen Würmern und Immunsystem

Dieser unmittelbare Bezug zur Medizin ist ein wichtiger Anreiz für Marc Hübner, mit Parasiten zu arbeiten. Was ihn aber von Anfang an so fasziniert hat und immer noch sein Steckenpferd ist, ist das Wechselspiel zwischen Würmern und Immunsystem. Lange bevor Marc Hübner präklinische Studien durchführte, forschte er zur Immunmodulation durch die Filarien. Der erste Einstieg in dieses Thema war eine Exkursion nach Brasilien während des Studiums und eine Malariainfektion, die alle Studierenden mit nach Hause brachten. So machte Marc Hübner Bekanntschaft mit dem Tropeninstitut in Tübingen, wo er dann während seiner Diplomarbeit zu Kryptosporidien, einzelligen Darmparasiten, forschte. Es folgte eine Doktorarbeit, die sich mit der Immunmodulation durch die Filarien beschäftigte und seine zukünftige Forschung prägte.

Mikrofilarie vom Fadenwurm Loa loa in 100facher Vergrößerung.

© Marc Hübner/UK Bonn

„Das Bewundernswerte an diesen Parasiten ist, dass sie das Immunsystem des Menschen so unterdrücken können, dass der Mensch oft keine Krankheitssymptome entwickelt und der Wurm gut lebt“, erklärt Hübner. Und er gibt gleich noch ein faszinierendes Beispiel dazu aus seiner Vorlesung: Die Nachkommen, die sog. Mikrofilarien des Fadenwurms Loa loa können nach einer Infektion im Menschen in riesiger Zahl im Blut vorhanden sein: In jedem Milliliter sind über 30.000 dieser ein Viertel Millimeter großen Mikrofilarien möglich. „Und der Mensch sieht gesund aus, weil die Würmer das Immunsystem so beeinflussen, dass es für Wirt und Parasit passt.“ Bei Filariosen entwickeln dann die Personen schwere Leiden, bei denen diese Immunmodulation durch die Filarien nicht gelingt. Die Immunmodulation der Würmer und ihre Auswirkungen auf verschiedene Krankheiten ist das zweite Steckenpferd des Biologen, das er auch heute noch weiterverfolgt. Der Einfluss von Wurminfektionen auf Autoimmunerkrankungen, aber auch auf Stoffwechselerkrankungen wie Alters-Diabetes oder Sepsis ist ein Forschungsgebiet, das immer neue spannende Ergebnisse hervorbringt. Im Zusammenhang mit Corona wird aktuell vermutet, dass die Wurminfektionen in Afrika hier schwerere Verläufe verhindern helfen.

Als dann 2006 das Angebot für eine Postdoc-Stelle in Washington D.C. kam, in der es um Fadenwürmer gehen sollte, gab es für Marc Hübner kein Halten: Die Filarienforschung aufbauen und das Wechselspiel mit Autoimmun-Diabetes erforschen, zog. Mit Sack und Pack und der kompletten Familie – Frau und zwei Söhne, die noch vor Studienende das Licht der Welt erblickt hatten – machte er sich auf den Weg. Es folgten vier Jahre intensiver Forschung und ein Leben, das sich nicht leicht mit dem in Deutschland vergleichen lässt. „Der Freizeitwert war einfach super. Drei Stunden bis zum Ozean, die Kinder toll integriert und wir hatten viele Freunde.“ Darüber hinaus die Arbeit, in der er seine Themen zielstrebig verfolgen konnte. „Das NIH (National Institutes of Health) war gleich gegenüber und die Zusammenarbeit mit den dortigen Immunologen hervorragend“, erinnert sich der Biologe.

Von Washington D.C. nach Bonn

2010 dann der Abschied und ein Wechsel von Washington D.C. nach Bonn. Das fiel nicht leicht, er gibt es unumwunden zu. Auch die Jungs, damals sechs und neun Jahre alt, waren keineswegs begeistert. Aber das beklagenswerte Gesundheitssystem in den USA, die Eltern in Deutschland und das Alter der Kinder machten den Schritt notwendig. „Und es war für mich klar, dass ich nach Bonn wollte, wo Prof. Achim Hörauf als eine der Koryphäen in der Parasitologie zu Filarien forscht." Dort eine eigene Gruppe aufzubauen und weiter mit Filarien zu arbeiten ­– das waren Anreize genug für Marc Hübner, sich in Bonn einzurichten. „Die Kinder haben den Sprung auch gut geschafft, obwohl sie anfangs vor allem den morgendlichen früheren Schulanfang beklagten“, erzählt er mit einem Schmunzeln.

Marc Hübner mit einer seiner Mitarbeiterinnen im Bonner Labor.

© UK Bonn

Seit 2014 nahm die präklinische Forschung in den Arbeiten von Marc Hübner mehr Raum ein, was ihn für die Professur im DZIF prädestiniert. Das Flagship-Projekt im DZIF „Corallopyronin A als Wirkstoff gegen adulte Würmer“ begleitet er mit; derzeit wird der Wirkstoff für die Phase-I-Studie vorbereitet. „Vor 2023 wird sie aber nicht beginnen“, schätzt Hübner. Noch laufen die Toxizitätsstudien, die notwendige Voraussetzung dafür sind. Parallel dazu führen die Bonner Studien in Afrika durch, die allerdings derzeit ins Stocken geraten. „Durch das neue Coronavirus können wir momentan nicht vor Ort arbeiten.“ Wie alle anderen sehnt sich Marc Hübner nach einem Ende der Pandemie. Denn auf Forschungsreisen möchte er auch in Zukunft keinesfalls verzichten.

Nach einem einstündigen Gespräch vor dem Computerbildschirm möchte man am liebsten einen Blick ins Labor werfen und die Würmer bestaunen. In Coronazeiten keine Option, aber Marc Hübner hat gerade erst im DZIF angefangen und bleibt ihm hoffentlich lange erhalten.

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